Erhalten durch Aufessen - bedrohte Tierrassen retten

Stand: 11/21/2023
Die Vielfalt der Tierrassen ist weltweit fast unüberschaubar. Tiere haben sich im Laufe von Tausenden Jahren an unterschiedlichste geografische und klimatische Bedingungen angepasst. Doch die einstige Vielfalt nahm in den letzten 100 Jahren immer mehr ab. Nicht nur Pandas, Tiger oder Berggorillas sind vom Aussterben bedroht. Direkt vor unserer Haustür verlieren wir einen großen Teil unserer heimischen Nutztierrassen. Und das Tempo, in dem die Zahl der Rassen sinkt, hat zugenommen.

In Europa ist bereits etwa die Hälfte aller zu Beginn des 20. Jahrhunderts verbreiteten Tierrassen ausgestorben und damit unwiederbringlich verloren. In Deutschland gibt es von den wirtschaftlich wichtigen Haustierarten Rind, Pferd, Schwein, Schaf und Ziege heute insgesamt 65 einheimische Rassen. Davon gelten derzeit 54 als in ihrem Bestand bedroht.
Die Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen e.V. (GEH) dokumentiert in einer jährlich aktualisierten „Roten Liste“ die bedrohten Nutztierrassen in Deutschland. Mit der Benennung einer „Gefährdeten Nutztierrasse des Jahres will die Gesellschaft auf den Schwund der Rassen und damit der biologischen Vielfalt aufmerksam machen. In die Kategorie der extrem gefährdeten Rassen gehörte beispielsweise 2016 regionale Rinderrassen wie das auch in Rheinland-Pfalz beheimatete Glanrind.

Die große Bedeutung der Rassenvielfalt liegt in ihrem enormen Wert als genetische Grundlage für künftige Anforderungen an die Ernährung des Menschen . Die ökologische Bedeutung liegt in der Nutzung angepasster Landrassen in Naturschutz und Landschaftspflege. Nicht zuletzt wird der über Jahrtausende entstandenen Vielfalt bei den Haus- und Nutztieren ein hoher kultureller Wert beigemessen.


Die Ursachen

Die Hauptursachen für das Aussterben sind der ökonomische Druck auf die landwirtschaftlichen Erzeuger und die Selektion auf wenige Leistungsmerkmale bei den Nutztierrassen. Die Intensivierung der Landwirtschaft und die damit einhergehende Spezialisierung in der landwirtschaftlichen Tierhaltung haben viele Rassen an den Rand des Verschwindens gebracht.
So gab es früher z.B. das „Dreinutzungsrind“: es produzierte Milch, wurde als Arbeitstier eingesetzt und war schließlich auch Fleischlieferant. Von Schafen wurden Milch und Fleisch verwertet und außerdem die Wolle. Hausschweine hatten eine dicke Speckauflage, sie lieferten nicht nur Fleisch und Wurst, sondern auch Fett zum Schmieren der Wagenräder. Die Tiere waren robust, genügsam und gut an bestimmte Klimabedingungen angepasst.

Die moderne Tierzucht dagegen ist eher einseitig ausgerichtet. Nicht nur die landwirtschaftlichen Betriebe, auch die Tiere wurden immer spezialisierter und leistungsfähiger. Sie sollen die „maximale Produktmenge pro Zeiteinheit“ liefern, also so viel Eier, so viel Milch und so viel Fleisch wie möglich und dabei das Futter effizient verwerten. Die Nutztiere, die heute auf unseren Weiden und in den Ställen stehen, scheinen daher recht einheitlich. Schwarz-weiße Kühe dominieren in der Milchkuhhaltung. Nur vier Rinderrassen, allen voran Holstein-Friesian, stehen in 97% der Ställe. Beim Huhn ist eine vollkommene Spezialisierung in Richtung Masthuhn oder Legehenne erfolgt. Ebenso haben sich in der intensiven Schafhaltung gleichartige Rassen durchgesetzt.
Auch die Wünsche der Verbraucher bestimmen die Ziele der Tierzucht. Als es in den 1950er Jahren noch darum ging, sich an saftigen Schweinebraten und fettigen Koteletts satt zu essen, war zum Beispiel das Bunte Bentheimer Schwein der Fleischlieferant par excellence. Die Züchter schätzten die Fruchtbarkeit des Tieres und den hohen Fettanteil seiner Schnitzel und Haxen. Nur ein Jahrzehnt später änderten sich die Verbrauchergewohnheiten, mageres, fettarmes Fleisch war gefragt. Es mussten andere Tiere zur Zucht herangezogen werden. Das Piétrain-Schwein mit seinem kompakten und muskulösen Körper wurde eingekreuzt. Die Fleischmenge erhöhte sich, doch der Nachteil war: die Stressempfindlichkeit der Tiere nahm zu und die Fleischqualität verschlechterte sich.
Auch heute ist es noch überwiegend so, dass Schweinefleisch mit einem Fettrand liegen gelassen wird, obwohl ein mit Fettäderchen durchzogenes Stück Fleisch oft mehr Geschmack hat und nicht so in der Pfanne schrumpft wie ein mageres.


Alte Rassen retten

Es gibt Initiativen und engagierte Züchter, die helfen, alte Rassen zu retten. Ob Rotes Höhenvieh, Schwäbisch Hällisches Schwein oder Heidschnucken - man kann sie heute noch erleben. Bodenständige Rassen verfügen über besonders wertvolle Eigenschaften, wie eine gute Konstitution und Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten. Sie sind genügsam und langlebig, haben eine hohe Fruchtbarkeit und gute Muttereigenschaften. Diese Eigenschaften könnten unter veränderten Umweltbedingungen, zum Beispiel auf Grund des Klimawandels, zukünftig von Nutzen sein. Vollkommen neue, bisher nicht beachtete Merkmale sind eventuell in 20 oder 50 Jahren in der Tierhaltung relevant. Um diese nicht zu verlieren, muss heute vorgesorgt werden.

Unter anderem setzen sich Arche-Höfe für die Erhaltung der Nutztierrassen ein. Die Tiere werden dort nicht als Streichelzoo erhalten, sondern sind in den Betrieb eingebunden. Zum Konzept gehört auch die Herstellung von Milch- und Fleischprodukten. Die Höfe gewähren Besuchern und Schulklassen Einblick in die Geschichte und die Bedeutung der Rassen.


Erhalten und genießen

In einer Welt der standardisierten Nahrungsmittel stellen die traditionellen Nutztiere eine Quelle vielfältiger Spezialitäten dar. Direktvermarkter, Gastronomen und regionale Einzelhändler entdecken die Landrassen wieder. Sie kreieren spannende und einzigartige Produkte. Die von den gefährdeten Rassen stammenden Erzeugnisse sind von besonderem Genuss, zumal sie oft mit großem Engagement handwerklich verarbeitet werden. Es wächst die Käuferschaft, die Interesse an solch unverwechselbaren Nahrungsmitteln hat.
„Erhalten durch Aufessen“ ist nicht nur ein Beitrag zum Erhalt von Biologischer Vielfalt und damit zu einer nachhaltig verantwortlichen Ernährungsweise , sondern auch eine Bereicherung des Speisezettels. Nur was genutzt, geschlachtet und gegessen wird, bleibt auf Dauer erhalten.


Quellen und weiterführende Informationen

Roteliste_2016.pdfRoteliste_2016.pdf

ernaehrungsberatung@dlr.rlp.de     www.fze.rlp.de/ernaehrungsberatung